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Indikatoren
für eine nachhaltige Entwicklung
Nachhaltigkeit als Leitbild der lokalen Entwicklung
Bei
der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro
1992 wurde den Städten und Gemeinden bei der Weichenstellung
für eine nachhaltige Entwicklung (s. Kasten 1) eine zentrale
Funktion zugesprochen, weil sie
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die Verwaltungsebene darstellen, die den Bürgerinnen und
Bürgern am nächsten ist,
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im Bereich 'Natur und Umwelt' Aufsichts-, Schutz- und Pflegefunktionen
wahrnehmen,
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die Verantwortung für große Teile der gebauten Infrastruktur
tragen und
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wichtige Planungskompetenzen haben.
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Kasten1
Nachhaltige Entwicklung
Eine nachhaltige Entwicklung stellt
einen positiven sozio-ökonomischen Wandel dar,
der die ökologischen und sozialen Systeme, von
denen Gesellschaften und ihre Teilgruppen abhängen,
stärkt. Ziel einer nachhaltigen Kommunalentwicklung
ist es, die lokale Lebensqualität unter allen sozialen,
kulturellen und materiellen Aspekten zu erhöhen,
ohne die Lebenschancen zukünftiger Generationen
oder der Menschen in anderen Städten und Gemeinden
der Welt zu beeinträchtigen.
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Bei
der Umsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung in Städten
und Gemeinden ergeben sich jedoch eine Reihe von Fragen:
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Welche konkreten Anforderungen stellt das Leitbild an das lokale
politische, wirtschaftliche und individuelle Handeln?
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War die bisherige Entwicklung der Stadt oder Gemeinde nachhaltig?
Befindet sie sich bereits auf dem richtigen Weg zu einer nachhaltigen
Entwicklung?
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Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen der Kommune
im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung?
-
Wo steht sie im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden?
Um
diese Fragen beantworten zu können, muss zum einen das Leitbild
Nachhaltige Entwicklung in konkrete Beurteilungskriterien
und politische, wirtschaftliche, planerische und letztlich auch
individuelle Ziele übersetzt werden. Zum anderen müssen
Instrumente entwickelt und angewandt werden, mit denen gemessen
und geprüft werden kann, inwieweit diese Kriterien erfüllt
und die Ziele erreicht wurden. Diese Instrumente, Nachhaltigkeitsindikatoren,
sollten nicht nur das Monitoring der Nachhaltigkeit der lokalen
Entwicklung ermöglichen, sondern auch deren Anforderungen und
Konsequenzen verdeutlichen.
Nachhaltigkeitsindikatoren
- Informationen für die Entscheidungsfindung auf dem Weg zu
einer nachhaltigen Entwicklung
Indikatoren
wie das Bruttosozialprodukt, die Arbeitslosenquote oder der Aktienindex
haben einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen politischer
und wirtschaftlicher Akteure. Obwohl sie nur Teilaspekte des volkswirtschaftlichen
Geschehens abbilden und, wie beispielsweise das Bruttosozialprodukt,
inhaltlich und methodisch durchaus umstritten sind, haben sich diese
Größen allgemein als Gradmesser politischen und wirtschaftlichen
Erfolgs etabliert. Im Kapitel 40 der Agenda 21 wird jedoch festgestellt,
dass diese allgemeingebräuchlichen Indikatoren nicht genügend
Aufschluss über Fragen der Nachhaltigkeit geben und dass über
die wirtschaftlichen Kenngrößen hinaus Indikatoren für
eine nachhaltige Entwicklung entwickelt werden müssen, um eine
solide Grundlage für Entscheidungen auf allen Ebenen zu schaffen
und zu einer selbstregulierenden Nachhaltigkeit integrierter Umwelt-
und Entwicklungssysteme beizutragen. Dabei ist es nicht damit getan,
die bekannten volkswirtschaftlichen Kenngrößen durch
Daten aus dem Sozial- und dem Umweltbereich zu ergänzen, sondern
das Ziel muss ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren sein, das
ein repräsentatives Bild der drei Dimensionen nachhaltiger
Entwicklung, das heißt die soziale, die ökologische und
die ökonomische Dimension, gibt und möglichst auch ihre
Wechselwirkungen abbildet.
An
ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren werden die folgenden Anforderungen
gestellt:
Leitbildbezug und Vollständigkeit:
der Indikatorensatz sollte alle Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung
(ökologische, sozio-kulturelle und ökonomische Dimension)
abbilden und (mindestens) alle Handlungsbereiche der Agenda 21 umfassen,
die für die lokale und ggf. regionale Handlungsebene relevant
sind;
Transparenz: das theoretische
Konzept und die methodische Vorgehensweise bei der Auswahl der Indikatoren
(beteiligte Akteure, Organisation des Prozesses) sollten nachvollziehbar
sein;
Zuverlässigkeit: die zur
Bildung der Indikatoren notwendigen Daten sollten verfügbar
und belastbar sein;
Entscheidungsbezug: die Indikatoren
sollten sich auf Handlungsbereiche beziehen, die auf der kommunalen
und ggf. regionalen Handlungsebene direkt beeinflusst werden können,
und für die auf dieser Ebene Agierenden (Politik, Verwaltung,
Unternehmen, Verbände, ...) handhabbar sein;
Kommunizierbarkeit: die Indikatoren
sollten für eine breite Öffentlichkeit verständlich
und geeignet sein, Zielsetzungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung
zu vermitteln.
Parallel
zu den internationalen Bemühungen, ein System von Indikatoren
zu entwickeln, mit dem die Nachhaltigkeit der Entwicklung auf der
gesamtstaatlichen Ebene gemessen werden kann, wurde weltweit an
Indikatoren zur Abbildung der Nachhaltigkeit lokaler und regionaler
Entwicklungen gearbeitet. In Deutschland wurden entsprechende Arbeiten
im Vergleich mit einigen anderen Ländern eher zögerlich
aufgenommen, erwiesen sich dann aber als sehr fruchtbar. Kasten
2 gibt einen Überblick über einige Projekte, in denen
Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung von Städten
und Gemeinden entwickelt und erprobt wurden.
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Kasten2
Arbeit an kommunalen Nachhaltigkeitsindikatoren
In
der folgenden Übersicht sind Projekte und Indikatorensysteme
aufgeführt, an denen mehrere Kommunen beteiligt
waren und in denen die Anwendbarkeit von Indikatoren
praktisch erprobt wurde.
Cities
21: An dem internationalen Projekt waren auch
einige deutsche Städte beteiligt. Im Rahmen dieses
Projekts wurde im Auftrag der Stadt Hannover vom ECOLOG-Institut
unter Beteiligung zahlreicher Akteure aus Kommunalverwaltung,
Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen ein Satz
umweltbezogener Nachhaltigkeitsindikatoren entwickelt.
(www.ecolog-institut.de)
Indikatoren im Rahmen einer lokalen Agenda 21:
Städte und Gemeinden aus Baden-Württemberg,
Bayern, Hessen und Thüringen haben sich an der
Pilotphase eines Projekts beteiligt, in dem ihre Entwicklung
anhand von 24 Indikatoren über 10 Jahre abgebildet
wurde. Die Indikatoren wurden von der Forschungsstätte
der Evangelischen Studiengemeinschaft erarbeitet. (www.fest-heidelberg.de,
www.lfu.baden-wuerttemberg.de)
KORENA: Im Rahmen des bundesdeutschen
Wettbewerbs 'Regionen der Zukunft' wurde vom ECOLOG-Institut
das Konzept für KOmmunale und REgionale NAchhaltigkeitsinventuren
erarbeitet. Die Indikatoren wurden unter Beteiligung
vieler gesellschaftlicher Akteure entwickelt und in
Zusammenarbeit mit den Städten der Expo-Region
Hannover erprobt. Für die Städter Nienburg
und Pattensen wurden Nachhaltigkeitsinventuren anhand
von rund 100 Indikatoren über einen Zeitraum von
10 Jahren durchgeführt. (www.ecolog-institut.de)
Städte der Zukunft: Die Städte
Münster, Heidelburg, Dessau und Güstrow haben,
fachlich unterstützt durch das Bundesamt für
Bauwesen und Raumordnung, eine indikatorengestützte
Erfolgskontrolle nachhaltiger Stadtentwicklung durchgeführt.
Ein Schwerpunkt lag beim sorgsamen und sparsamen Umgang
mit der Ressource 'Fläche'. (www.staedte-der-zukunft.de)
Zukunftsfähige Kommune: Die Deutsche
Umwelthilfe führt mit Unterstützung durch
Agenda Transfer, der bundesweiten Servicestelle Lokale
Agenda 21, das ECOLOG-Institut und die GP-Forschungsgruppe
einen Wettbewerb und eine Kampagne zur lokalen Umsetzung
der Agenda 21 durch, an dem in der Pilotphase und im
ersten Wettbewerbsjahr mehr als 100 Städte und
Gemeinden aus allen Bundesländern teilgenommen
haben. Neben Indikatoren zum Vergleich der Nachhaltigkeit
der Entwicklung der teilnehmenden Kommunen wurden in
dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten
Projekt auch Qualitätskriterien für lokale
Agenda 21-Prozesse entwickelt. (www.duh.de)
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Das
theoretische Konzept für ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren
Die Struktur des vorliegenden Indikatorensatzes
orientiert sich an dem im ECOLOG-Institut entwickelten AEZR-Ansatz,
der eine Erweiterung des Pressure-State-Response (PSR)-Ansatzes
für das Umweltindikatoren-System der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) darstellt (s. Kasten 3).
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Kasten3
Der Pressure-State-Response-Ansatz der OECD für
Umweltindikatoren
Dem
PSR-Ansatz liegt eine vereinfachte Kausalkette zugrunde:
Pressure-Indikatoren
beschreiben den Druck auf die Umwelt, z.B. in Form von
Verkehrsaufkommen oder Schadstoffimmissionen;
State-Indikatoren bilden den Zustand
der Umwelt ab, der sich unter dem Druck anthropogener
Einflüsse direkt oder indirekt verändert,
z.B. über Angaben zu Luftschadstoffkonzentrationen
oder zur Gewässergüte, und
Response-Indikatoren zeigen die Reaktionen
von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auf Gefährdungen
der Umwelt an, z.B. Maßnahmen zum Klimaschutz
oder zur Gewässerreinhaltung.
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Der
OECD-Ansatz wurde von der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung
(CSD) für seine Arbeiten an einem international anwendbaren
Indikatorensystem übernommen, allerdings mit der kleinen Änderung,
dass an die Stelle der Pressure-Indikatoren Driving Force-Indikatoren
treten, die die von menschlichen Aktivitäten ausgehenden Antriebskräfte
für Umweltbelastungen beschreiben.
Das
Konzept der OECD wurde zur Beschreibung von Einwirkungen auf die
Umwelt und des Zustandes der Umweltmedien entwickelt und kann nicht
einfach auf die soziale und die wirtschaftliche Dimension des Leitbildes
Nachhaltige Entwicklung übertragen werden. Der AEZR-Ansatz
stellt die soziale und die wirtschaftliche Dimension nachhaltiger
Entwicklung gleichberechtigt neben die ökologische Dimension.
Er geht von vier Wirkungsebenen aus:
Auf
der ersten Ebene bilden die Indikatoren Aktivitäten
und Strukturen ab. Die Indikatoren sind den folgenden Unterebenen
zugeordnet:
- Wohnen
- Konsum
- Wirtschaft
- Arbeit
- Bildung und Kultur
- Erziehung
- Freizeit und Erholung
- Verkehr
- Kommunikation und Information
- Verwaltung
- Versorgung
- Entsorgung
Diese
führen zu Einwirkungen auf die Umwelt, auf
die Gesellschaft bzw. das Individuum sowie die Wirtschaft, die auf
der zweiten Ebene durch Indikatoren abgebildet werden:
- Einwirkungen auf die Umwelt
-- Stoffliche Einwirkungen
-- Energetische Einwirkungen
-- Strukturelle Eingriffe
-- Ressourcenentnahme
- Einwirkungen auf die Gesellschaft
-- Gesundheitsrelevante Einwirkungen
-- Soziale Einwirkungen
-- Rechtliche Regulierungen
-- Finanzielle Eingriffe
-- Sicherheitsrelevante Einwirkungen
-- Einwirkungen mit kultureller Bedeutung
- Einwirkungen auf die Wirtschaft
-- Kostenrelevante Einwirkungen
-- Rechtliche Regulierungen
-- Einwirkungen auf die Ressourcenverfügbarkeit
-- Einwirkungen auf das Arbeitskräfteangebot
Die
dritte Indikatorenebene bezieht sich auf den Zustand
von Umwelt, Gesellschaft und der Wirtschaft:
- Zustand der Umwelt
-- Boden
-- Wasser, Oberflächengewässer
-- Wasser, Grundwasser
-- Luft (z.B. Luftqualität)
-- Globales Klima
-- Lokales Klima
-- Schall
-- Ökosysteme
-- Arten
-- Landschaft/Ortsbild
-- Strahlung
- Zustand der Gesellschaft
-- Gesundheit
-- Materieller Wohlstand
-- Bildung und Kultur
-- Soziale Beziehungen
-- Gesellschaftliches Engagement
-- Integration
-- Versorgung
-- Sicherheit
- Zustand der Wirtschaft
-- Kapital und Erträge
-- Arbeit
-- Maschinelle Arbeit
-- Wissen und Qualifikation
-- Ressourcen
Auf
der letzten Ebene zeigen Indikatoren schließlich die Wirksamkeit
der Reaktionen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft
an, das heißt von Maßnahmen, die ergriffen werden, um
umweltgefährdenden, sozial unverträglichen und wirtschaftlich
nicht vertretbaren Entwicklungen entgegen zu steuern und Veränderungen
im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu bewirken. Solche Maßnahmen
können auf allen drei zuvor genannten Ebenen ansetzen, um nicht-nachhaltige
Aktivitäten einzuschränken und nachhaltige zu stärken,
um unerwünschte Einwirkungen auf Umwelt, Gesellschaft oder
Wirtschaft zu verhindern oder zu mildern oder um die ökologischen,
sozialen oder ökonomischen Zustände zu verbessern. Reaktive
Maßnahmen können in den folgenden Bereichen erfolgen:
- Politische Maßnahmen
- Rechtliche Maßnahmen
- Finanzielle Maßnahmen
- Wirtschaftliche Maßnahmen
- Planerische Maßnahmen
- Naturpflegerische Maßnahmen
- Technische Maßnahmen
- Bauliche Maßnahmen
- Kommunikative/ pädagogische Maßnahmen
- Individuelles Verhalten
Die
Auswahl und Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren als partizipativer
Prozess
Nachhaltige Entwicklung wurde mit der Agenda 21
als Leitbild mit dem Anspruch globaler Gültigkeit verabschiedet.
Was lokal getan werden muss, um eine solche Entwicklung einzuleiten,
hängt aber natürlich von den jeweiligen lokalen Bedingungen
ab. Wo Schwerpunktsetzungen erfolgen und welche Handlungsprioritäten
festgelegt werden, um eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten,
wird nicht zuletzt durch die Sensibilisierung der lokalen Akteure
für bestimmte Probleme, ihre Sichtweisen und Einstellungen
bestimmt. Die Entwicklung lokaler Nachhaltigkeitsindikatoren, die
ja dazu beitragen sollen, das Leitbild Nachhaltige Entwicklung (vor
dem Hintergrund der örtlichen Gegebenheiten) zu konkretisieren
und zu operationalisieren, kann deshalb nicht allein anhand allgemeiner
wissenschaftlicher Kriterien erfolgen. Notwendig ist vielmehr eine
breite Beteiligung von Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher
Gruppen an der Diskussion und der Auswahl der Indikatoren. Auch
sollten Fachleute aus den unterschiedlichsten Bereichen, insbesondere
auch aus den Institutionen, die mit ihren Daten die Grundlage für
die Bildung der Indikatoren liefern sollen, an der Prüfung
der Machbarkeit und der Aussagekraft der Indikatoren beteiligt werden.
Gemeinsam ist insbesondere zu entscheiden, welche Bedeutung den
einzelnen kommunalen Handlungsbereichen und Zielorientierungen im
Hinblick auf eine Nachhaltige Entwicklung zukommt und welche Indikatoren
sowohl unter fachlichen wie kommunikativen Aspekten am besten geeignet
sind, den lokalen Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit in den
wichtigsten Handlungsbereichen zu messen.
Die vorliegende Datenbank bietet eine Auswahl an
Indikatoren, mit denen die Nachhaltigkeit der lokalen und regionalen
Entwicklung in vielen Bereichen abgebildet werden kann. Unter Umständen
reicht diese Auswahl jedoch nicht, um alle Probleme und Fragestellungen,
die vor Ort als wichtig angesehen werden, aufzugreifen. In diesem
Fall sollte die Auswahl der Indikatoren aus der Datenbank um Indikatoren
ergänzt werden, die vor Ort gemeinsam mit der Bevölkerung
und wichtigen Akteuren entwickelt werden.
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